Der „Preis der Humboldt-Universität für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Mittelalterlichen Geschichte, gestiftet von Michael und Claudia Borgolte“, der mit 10.000 € dotiert ist, wurde 2022 zum dritten Mal verliehen. Bei der Ausschreibung, die zu einer Reihe herausragender Bewerbungen auch aus dem Ausland führte, setzte sich nach dem Urteil einer internationalen Expertenkommission PD Dr. Tobias Daniels, jetzt Heisenbergstipendiat an der Ludwig-Maximilians-Universität München, durch.

Bei der feierlichen Preisverleihung am 27.06.2022 an der Humboldt-Universität würdigte Jury-Mitglied Prof. Dr. Frank Rexroth (Universität Göttingen) die Abhandlung des Preisträgers mit folgenden Worten:

1974 steuerte Fernand Braudel einen Beitrag zur „Storia d’Italia“ bei, dies unter dem Leitaspekt der künstlerischen Produktion und – das ist für heute wichtig – im Zusammenhang der europäischen Geschichte. Letzteres tat er keineswegs nur unter dem Vorverständnis, dass Italien eben ein Teil Europas sei, dass europäische Entwicklungen folglich italienische mitbedingten. Vielmehr entfaltete Braudel das weit anspruchsvollere Konzept einer Beziehungsgeschichte zwischen dem okzidentalen Ganzen, in einer Phase, in der es gerade die künstlerische Produktion Italiens gewesen ist, die als Vorbild für viele Entwicklungen in Europa diente. Es ging ihm darum, „das eine, engere, Italien durch das andere, umfassendere, das Abendland, zu erklären und umgekehrt“.  Nicht die Kategorie des ‚Einflusses’, nicht die Denkform, dass die Kunst Italiens seit dem Quattrocento ganz Europa ‚überformt’ hätte, ist also sein heuristisches Prinzip, sondern die Vorstellung, dass die gesamteuropäischen schöpferischen Akte der Rezeption und Anverwandlung, der Akkulturation, aber auch der Abwehr ein integraler Bestandteil auch der italienischen Renaissance selbst gewesen seien.
Bei diesen Formen der Anverwandlung hätte es eigentlich aber nicht nur um die stilbildende Kunst Italiens und ihre Rezeption nördlich der Alpen, auf den Britischen Inseln oder im östlichen Mitteleuropa gehen müssen, sondern durchaus auch um politische Formen, Verständnisse, Handlungsweisen und soziale Institutionen. Italien galt den Europäern auch als das Epizentrum republikanischer Vergesellschaftungsformen, gewagter Verfassungsexperimente, auch der Tyrannis samt dem Tyrannenmord – schon für Geoffrey Chaucer waren Tyrannen Leute, die in der Lombardei zu Hause waren. Als Jacob Burckhardt in seiner „Kultur der Renaissance in Italien“ von 1960 den ersten Abschnitt überschrieb „Der Staat als Kunstwerk“, stellte er sich genau genommen in eine jahrhundertelange, mindestens bis zu Machiavelli zurückreichende Tradition. Diese hatte sich gespeist aus der Faszination, aber eben, was sich dem Leser schnell mitteilt, auch des Grusels angesichts der blutigen Versuche, sich der Mächtigen mit dem Schwert zu entledigen, und sei es während des Hochamtes in der Kirche, in der Nähe des Altars, auf Verabredung, etwa, wie 1435 in Fabriano dann, wenn der Priester die Worte des Credo: Et incarnatus est sprechen würde.   
Eine jener blutigen Taten, die sich früh in die Memoria der Europäer einschrieben, war das Attentat auf die Medici-Stadtführung zu Florenz, ausgeführt am Ostersonntag des Jahres 1478 (26. April), was insofern misslang, als Lorenzo de Medici überlebte und ‚nur‘ sein Bruder und Mitregent Giuliano sein Leben verlor. Der Aufstand und damit der Versuch, die Stadtherrschaft durch die Medici zu beenden, scheiterte auf ganzer Linie, ja er misslang so spektakulär, dass es viel zu berichten und zu erzählen gab von dem Vorfall.
Ausgeforscht ist das, was zu Florenz geschehen ist, sehr gut, nicht zuletzt durch Tobias Daniels selbst, der schon 2013 eine dem Geschehen gewidmete Schrift unter dem Titel „La congiura dei Pazzi“ publizierte, in der er zentrale Dokumente zum Geschehen vorstellte, diskutierte und damit auf ein vertieftes Verständnis des Geschehens zielte – auf seine Hintergründe, den Verlauf und das, was folgte.
Es ist also nicht die Rekonstruktion des Tathergangs selbst, die Tobias Daniels in seiner monumentalen weiteren Monographie zum Thema vor zwei Jahren zu seinem Hauptanliegen erkoren hat. Vielmehr ging es ihm darum nachzuvollziehen, wie aus der Pazzi-Verschwörung ein europäisches Ereignis wurde, oder, wie man in Anlehnung an Gerd Tellenbachs berühmten Aufsatz von 1963 sagen könnte, ein europäischer Skandal. Seine Studie, abermals bereichert um 125 Seiten vorbildlich edierter ungedruckter Quellen zu diesem wahrlich wohlbekannten Thema, erschien 2020 unter dem Titel:
Die Verschwörung der Pazzi. Ein politischer Skandal und seine europäischen Resonanzen.
Das Wort „Resonanzen“ im Untertitel ist sehr bewusst gewählt, impliziert es doch zum einen, dass sich das Nachleben des Ereignisses von 1478 nicht schnell erschöpfte, sondern seine ganz eigene, fast autopoietische Dynamik entwickelte, und zum anderen, dass diese Dynamik durchaus nicht auf den engeren politischen Raum beschränkt blieb. Wer sich das Vergnügen gönnt, diese Untersuchung zu lesen, lernt am konkreten Beispiel etwas darüber, auf welchen Wegen und in welchem Tempo sich das Wissen um ein gescheitertes Florentiner Attentat im Raum bewegte, welchen Widerhall er hervorrief, sei es in Bern oder Basel, in Lübeck, Erfurt und Krakau, in Wien, Utrecht und Palencia. Es ist nicht ein System von Kommunikationsadern, das hier die Nachricht weitertrug – das europäische Universitätssystem (und hier wiederum Studentenbriefe) mögen dabei eine Rolle gespielt haben, wahrscheinlich auch der Deutsche Orden, vor allem aber die Stadt Rom, die Besucher von überallher anzog, erwies sich als ein kommunikativer Knotenpunkt, an dem Informationen über Florenz gedealt wurden. Auch die Handelsströme und das Bankenwesen kann Daniels in subtilen Analysen als Adern nachweisen, in denen sich das Wissen um die Florentiner Ereignisse verbreitete.  
Das Bild von den Resonanzen rekurriert aber auch auf die Beobachtung des Autors, dass sich politisches Geschehen nicht lediglich im politischen Raum bemerkbar macht, sondern in andere soziale Felder hineinwirkt – und freilich auch aus diesen gespeist wird. Als geradezu kurios folgenreich erweist sich so ein Ereignis, bei dem es doch im Kern eigentlich ‚nur‘ darum ging, lokale Machtverhältnisse zu klären, also auszuhandeln, „wer in Florenz das Sagen haben sollte“ (S. 25). Das gilt etwa für die Wirtschaft, wo das Ausscheiden der Medici aus der Papstfinanz für eine Weile vieles änderte und wo Daniels bis in die Details eines Brügger Prozesses um eine Schiffsladung Alaun hinein nachverfolgen kann, wie sich das Attentat auswirkte. Was für das 15. Jahrhundert „europäische Verflechtung“ bedeutet, kann Daniels an diesem Fall scharfsinnig herausarbeiten. Dies gilt ebenso für das internationale Gesandtschaftswesen und die Rompräsenz der europäischen Mächte.
Auf paradigmatische Weise werden in diesem Buch so die Forderungen eingelöst, die von Manfred Hettling und Andreas Suter als die Relation von „Ereignis“ und „Struktur“ benannt wurden, allerdings in einer deutlichen kulturwissenschaftlichen Erweiterung, weil man sieht, wie das skandalöse Ereignis im Lauf eines Perzeptionsprozesses erst entsteht. Seine Lektüre setzt eine gewisse Konzentration voraus, vor allem bei solchen wie mir, die nicht sattelfest sind in der Geschichte Italiens. Aber dieser Aufwand belohnt Leserinnen und Leser mit Einblicken, die weit über den italienischen Horizont hinausgehen – nicht nur in dem Sinn, dass Daniels die Produktion jenes Ereignisses und dessen strukturelle Auswirkungen in den verschiedenen Feldern und in ganz Europa rekonstruiert hat – die Auflistung der Archive, die er konsultiert hat, könnte kaum umfangreicher sein, reicht von A wie Augsburg bis zur Yale University.
Leicht gemacht hat uns Tobias Daniels diese Leseleistung mit seinem wirklich glasklaren Stil, seiner gut lesbaren Wissenschaftsprosa. Die „Pazzi“ sind wunderbar geschrieben und perfekt redigiert, was einer weiten Rezeption Tür und Tor öffnen und weitere Studien inspirieren wird, die zu anderen Fällen arbeiten und die Frage aufwerfen werden, wie Ereignisse sozial konstruiert werden. Der Preis der Michael- und Claudia-Borgolte-Stiftung 2022, darin war sich die Jury einig, geht völlig zu Recht an den Autor dieser fulminanten Studie.

Tobias Daniels, geboren 1981 in Recklinghausen, studierte Geschichtswissenschaften, Romanistik und Germanistik in Bochum und Florenz und wurde 2011 an den Universitäten Innsbruck und Pavia mit einer Arbeit über den gelehrten Juristen Johannes Hofmann von Lieser (gest. 1459) promoviert. Er hatte u. a. eine Fellowship am Center for Medieval and Renaissance Studies an der St. Louis University inne, war Wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Forschergruppe der Bibliotheca Hertziana in Rom und an der LMU München sowie Visiting Research Fellow an der Yale University und Library Research Fellow an der Princeton University (beide USA). Die Habilitation in München erfolgte 2018. Seit August 2021 ist er Heisenbergstipendiat der DFG mit Sitz in München.